Warten auf den großen Sprung nach vorne

22. Februar 2024

Ein Jahr, jede Woche ein Buch?! KW 8. 19. bis 25.2.. Billy Bragg, „Die drei Dimensionen der Freiheit. Ein politischer Weckruf“. Wilhelm Heyne Verlag, 2020, 138 Seiten. Es geht in etwa je einem Drittel um Liberalität, Gleichheit und Verantwortlichkeit, um das gesellschaftliche Funktionieren im kleinen und großen Miteinander. Ja, da droht trockener Stoff, und ich hätte das handlich-kleinformatige Buch auch nicht in die Hand genommen, wenn es nicht vom guten alten Billy käme. Es liest sich wider Erwarten gut. Der Rocker will verstanden werden. Es geht um den alten und neuen Populismus, um die Großmäuler, die bedauert werden wollen; um staatliche Kräfte, die sich aus ihrer Verantwortung stehlen, um einst demokratische Regler, die die Märkte im Zaum hielten; um den Kampf um die individuelle Handlungsfähigkeit … Und nun wieder Musik.

Mal was anderes, „Frauenliteratur“

18. Februar 2024

Ein Jahr, jede Woche ein Buch?! 7. KW, 12.2. bis 18.2. Brigitte Reimann, „Katja“. Frühe Erzählungen der 1933 in Burg/Anhalt Geborenen, und 1973 in Berlin, Hauptstadt der Untergegangenen, zu früh Verstorbenen. Neun recht unterschiedliche Texte aus den Jahren zwischen 1948 und 1970 lesen sich zumeist recht flott. Oft handelt es sich um autobiografisch angelehnte Beziehungsprosa. Die DDR, selbst die Städtchen der Protagonisten, bleiben meistens ungenannt. Es geht um menschliche Haltungen an sich, nicht so vordergründig um Politik. Nur in „Die Probe“, einem Bühnenstück, 1948 geschrieben, verhandeln Schüler untereinander die Aufnahme in die FDJ. Stilistisch ist die blutjunge Burg-Bewohnerin mit ihrer Schreibe voll auf der Überholspur. Sie war ganz gut im Geschäft, eckte auch mal an, und realisierte mit namhaften Künstlern einige Projekte. Im Anhang geht es unter anderem um den Text „Sonntag, den … Briefe aus einer Stadt“. Er wurde mit Manfred Krug und anderen verfilmt und zweimal ausgestrahlt. Als Manne im Westen angekommen war, landeten die Rollen nicht mal in den Giftschränken, sie wurden alle vernichtet. Der Film ist nur deshalb noch in mieser Qualität existent, weil jemand vom Hessischen Rundfunk, glaube ich richtig in Erinnerung zu haben, das Ost-Fernsehen abfilmte und archivierte, so wie es Karl-Eduards Genossen mit den West-Sendungen zu tun pflegten. Brigitte Reimann jedenfalls, ist derzeit wieder groß im Rennen. Alle Romane und Notizzettel erscheinen neu und stürmen die Hitparaden, auch als Übersetzungen fürs böse Ausland.

Rund um den Planeten

14. Februar 2024

Oh, du wunderschöner Regentag. Marry vom Periplaneta Verlag und ich haben heute den gemeinsamen Vertrag unterschrieben. Jetzt soll es mit dem zeitgenössischen Berlin-Nordost-Roman in Riesenschritten voran gehen. Lektorat, Satz, Druck … Veröffentlichungsschubidu am Freitag dem 17. Mai 2024 in der Bornholmer Straße 81 a. Na bitte, von der Idee bis zur Realisierung wird es dann keine zehn Jahre gedauert haben.

Zugabe.

Zurück zu den Wurzeln

12. Februar 2024

Vor 30 Jahren schrieb ich für das Fanzine „Zonenzombie“ meine ersten autobiografisch-gestreckten Spielberichte. Morgen bin ich in der linken Tageszeitung „junge Welt“ auf der Sportseite vertreten. „Zonenzombie“, „junge Welt“ … alles das selbe? Ich denke vor allem, erstens ist Klimpergeld schön, und zweitens bekomme ich für jeden zweiten Dienstag die geforderten 2.500 Zeichen sicher etwas einfacher hin wie zwischen 2014 und 2017 zu nahezu jedem Freitag die 3.000 persönlichen Zeichen für Gläsers Globus. Beim Sport kann ich aus der Fachpresse abschreiben und fühle mich nicht durch die naheliegende Selbstzensur gebremst. Fußballberichte, nun ja, ich war damals auch nicht bei allen Spielen, und werde es vermutlich auch nicht sein, wenn ich demnächst aus der Unterklasse Islands berichte. Hier ist mein morgiger Artikel, noch so toll ohne Korrektur:

Sonntag, 11 Uhr, am Volkspark. 9. Bundesliga. Der VfB Berlin-Friedrichshain 1911 trifft auf den FC Polonia. Kreisliga A, Abteilung 4. Im Sonderheft der Fußballwoche findet sich dazu eine Übersicht auf Seite 187, wenn man blättert und denkt, verdammt, das Teil hat doch nur 170 Seiten. Der Gastgeber aus dem vorderen Tabellendrittel empfängt eine Truppe aus dem letzten Drittel. Die Trikots der VfB-Spieler ziert ein Logo, welches wie ein erstes K.I.-Experiment aussieht, dass von Polonia erinnert an ein Punk-Kneipen-Emblem. Der Spaß kostet weder Eintritt noch Schutzgeld. Als die Mannschaften sich warmmachen, fliegt manch Leder ins Aus. Ich habe meine erste Ballberührung, werde nicht verhaftet. Alles entspannt, flottes Spiel. Keine Trennung der 20 Zuschauer. Ich vermisse die vor Jahren gesichteten Ü40-Ultras, drei an der Zahl. Es ist kühl, ständig nieselt der Regen. Ich hole mir einen Kaffee und einen Schokoriegel. Alles kostet jeweils eine Mark. Das knappe Dutzend Polonia-Fans trinkt Bier, einer engagiert sich als Linienrichter. Schiri, war Abseits! Die Fans vom VfB sind traditionell eher die, welche für die Kontrahenten Kaffee und Kuchen bereithalten. Mindestens seit 2005, als mein Sohn für einige Jahre im Tor stand. Er war Keeper oder Künstler. Mit ihm und seiner Fieberkurve ließ sich schlecht planen. Später ging er für eine Saison zum Basketball, dann für drei Spielzeiten mit einem Mädchen. Nicht die schlechteste sportliche Karriere. Ob ein Junge seiner damaligen Truppe in dieser Männermannschaft spielt? Könnte sein. Der VfB geht verdient in Führung, Polonia gleicht aus. 1:1, Pause. Ich brauche einen Tee. Immer rein damit, die WCs sind hier menschenfreundlicher als fünf Spielklassen höher. Man sieht, wo die Fördergelder bleiben. Auch während der 2. Halbzeit läuft das Spiel zackig über den nassen Kunstrasen. Auf diesem Geläuf finden weder Fuchs noch Krähe eine Maus oder einen Wurm. Es herrscht hohe Verletzungsgefahr, mit und ohne Gegnereinwirkung. Wenn in dieser Liga einer liegt, glaubt man ihm. Inzwischen ist die Seitenlinie gut bevölkert, von Anwohnern und Auswechselspielern, Spaziergängern und Joggern. 60 friedliche Seelen. Der VfB schwingt sich zu flotten Kombinationen auf. Folgerichtig fällt das gut herausgespielte 2:1. Polonia drängt auf den Ausgleich, versiebt aber zwei Chancen und verliert. Der VfB rückt vom 4. auf den 3. Platz vor und lauert bei drei Punkten Rückstand zum Tabellenführer FC Arminia Tegel 77, der sein Spiel gegen FC Treptow 3:2 gewinnt, auf die Eroberung des Platzes an der Sonne. Polonia wird die Klasse halten. Gut so.

Ein Jahr, jede Woche ein Buch?! 6. KW, 5.2. bis 11.2. David Zane Mairowitz und Robert Crumb, „Kafka“. Zwei US-Amerikaner, eine Graphic Novel, wohl aus dem Jahre 2013 und nun neu aufgelegt im Hause Reprodukt. Sehr schön, was das Traumteam da produzierte. Leben und Werk von Franz K. aus P. wurden knackig zusammen gefasst. Voll das Vater-Sohn-Dilemma, viel Identitätsschizophrenie und literarischer Wahnsinn, mit und ohne Frauen. In „Kafka“ verewigte der alte Zeichner Crumb dutzende Meisterwerke, die es sich hin und wieder anzusehen lohnt. Bekommt man für´n knappen Zehner geschenkt.

Na ihr Social Beatles?

5. Februar 2024

Ein Jahr, jede Woche ein Buch?! 5. KW, 29.1. bis 4.2.. Jürgen Pönn, „Der Tag, an dem Conny Kramer wie durch ein Wunder überlebte“. 126 Seiten, Roman, 2020. Habe ich wegen dem Titel gekauft, war kein Fehlgriff. Lag auf dem Wühltisch für 2 Euro. Pönn, Baujahr ´63, Musiker und Krankenpfleger, lässt in seinem starken Debüt den Social Beat nicht nur wieder aufleben, er macht ihm alle Ehre. Solide Schreibe. Schwarzer Humor, Unterklassendominanz, Ruhrpottler-Geläster über Schnösel-Hamburger. Freund Wolle erleidet mit 47 Jahren einen Schlaganfall, oder hat er sich nur totgelacht und wacht wieder auf? Im Milieu grübelt man über den Tod und dem Verzehr von Fettschürzen. Der Ich-Erzähler und seine Freundinnen Esra und Rotzi, sowie Freund Vegas, ergattern den Schlüssel zur Pathologie, stimmen „Steht auf, wenn ihr Schalker seid!“ an und holen Wolle da raus. Im Rollstuhl sitzend platziert man ihn im Park, wo ihm Regentropfen über das Gesicht kullern. Sieht aus als ob er lächelt. Nun ja. Kein Zweitwerk vom Autor? Hoffentlich hat er sich nicht totgelacht.

Ab dem Dienstag in acht Tagen fabriziere ich übrigens jeweils 2.500 Zeichen für die junge Welt, also für die Fußballrubrik „Aus den Unterklassen“, alle zwei Wochen, im Wechsel mit Gabriele Damtew. Was diesen Mittwoch beim Regionalligaknaller BFC Dynamo gegen Chemie Leipzig so los gewesen sein wird, werde ich am Wochenende eventuell vergessen haben, deshalb habe ich mir in der aktuellen Fußballwoche folgendes Spiel für mein Kolumnen-Debüt rausgekuckt: Kreisliga A, Staffel 4. VfB Friedrichhain 1911 gegen FC Polonia Berlin. Macht es dem Schuhverkäufer und Samba-Marco gleich, kommt vorbei. Sonntag 11 Uhr, Virchowstraße 6, gleich am Volkspark, Krankenhaus, SEZ. Eintritt frei, Bier eine Mark?

P.S.: Hallo Ahne, alles Gute zum Geburtstag! Maximale Gesundheit, Liebe und Kreativität, ein bisschen Geld …!

Wissenswertes aus dem Tal der Rabiaten

28. Januar 2024

Ein Jahr, jede Woche ein Buch!? 4. KW, 22. bis 28.1.. Ein Buch, dass ich nach meiner Erinnerung vor fast einem Jahrzehnt vom Meister selbst überreicht bekommen und nun endlich gelesen habe: Thorsten Dietze, „Das Einzige was bleibt“. Randale Books. Oh ha! Ich habe die Lektüre wohl ewig vor mich hergeschoben, weil ich damals einige Hool-Schinken von Trolsen hinter mir und das ewige Glatzen-Thema vorerst auch abgehakt hatte. Von Thorstens sicherlich auto-fiktionalem Skinhead-Roman erwartete ich erst mal nicht so viel, zumal er den Ball betont flach hielt und der Vorwortschreiber von Sunny Bastard Records auch so einen auf „Er hat da mal was aufgeschrieben“ machte. Doch ich halte die 270 Seiten mit den kleinen Buchstaben für recht ambitioniert, durchdacht und sicher im Stil. Entgegen meiner Erwartung dominiert während der ersten Hälfte die Jugend des Protagonisten im Dresden der ´80er. Die Namen von vielen lustigen DDR-Produkten werden aufgezählt. Die Selbstverortungs-und-Modefragen werden thematisiert. So was kann einem als DDR-Sozialisierter und halbwegs Szenekundiger ein bisschen auf den Hansa-Keks gehen, aber eigentlich ist das der Stoff aus dem Erfolgsromane wie „Sonnenallee“ resultieren. „Das Einzige was bleibt“ halte ich für sehr authentisch, der Roman ist aber nicht lustig, auch nicht so gewalttätig. Ok, wenn es scheppert, dann richtig, wie beim Erlebnisbericht(?) über die Randerscheinungen beim Spiel zwischen Dynamo Dresden und Roter Stern Belgrad. Es wird solide erzählt. Beim Ich-Erzähler werden während der Lektüre der eigenen Stasi-Akte einige Erinnerungen wach. Ein guter Lektor hätte sicher einige Kunstgriffe tätigen können, allerdings wäre bei einem großen Verlag am Ende des Romans keine Werbung für flotte Schallplatten von Randale Records aufgetaucht. Huch, alles sehr verdächtig.

Tipp: 16. März im Gasthof Niegisch, Schmachtenhagen. Lesung von Thorsten Dietze, Konzert mit Borgelt Beat. Buchvorstellung und Single-VÖ!

Ick war noch nie in Nepal

21. Januar 2024

Jede Woche ein Buch!? 3. KW, 15. bis 21.1.. Henning Rabe, „Das Beben von Nepal“, 2015. Herr Rabe, auch bekannt als Funky oder Iron Henning, als Rocker und DJ, liefert hier 90 Seiten, denn soviel muss ein Schriftstück umfassen, um als Buch gelten zu dürfen, und eine ISBN aufweisen. Kennt man von einigen Erfolgsautoren, dass deren Werke immer dünner werden und sich auf 120 Seiten viele Plätze für eigene Notizen finden. Nicht so beim Poeten Henning. Die 90 Seiten sind prall gefüllt mit seinem Bericht über Land und Leute, Kultur und Formalitäten, und wie es in den Bergdörfern zuging, als der Boden unter den Füßen bebte und viele Häuser einstürzten. Empfehlung. Ansonsten fand ein „Noister Fetzen“ den Schleichweg in meinen Haushalt, ein Oi!Punk-Schnipsellayout-Zine von Onkel Marok. In der # 4 finden sich einige Bekannte, von den Oranienburger DJs Bierfotze und Marc, über Janusz, der über den verblichenen Zugriff berichtet, bis zum interessanten Gespräch mit Tausendsassa Veit Pätzug. Dazu das übliche Ausloten zur Szene, den Skinheads und Ski-Sportlern, sowie Tante Karins Pflaumenblechkuchen. Alte Schule, gute Sache.

Inzwischen landete ein umfangreicher Vertragsentwurf in meinem Elektropostbriefkasten. Wird spannend, auch heute Abend. Seid pünktlich!

Ein Jahr, jede Woche ein Buch!?

19. Januar 2024

1. KW. Habe zwei halbwegs gleichzeitig im letzten Quartal 2023 angefangene Dinger ausgelesen: Burmeister & Lange, „Depeche Mode Monument“, 2017 erschienen, und Alex Hacke, „Krach“, 2015. „Monument“ ist ein 2,5-Kilo-Wälzer mit hunderten von Fotos der 4 Skins, äh, DeMo-Boys. Interessant sind die Abbildungen der vielen Promo-Scheiben, Plakate, Eintrittskarten usw.. Trotz der reichen Bebilderung zieht sich die Lektüre etwas. Gut sind zum Beispiel die Interviews mit Daniel Miller und Olaf Zimmermann. Doof finde ich den Teil zum Konzert in der Werner-Seelenbinder-Halle und den Fans in der DDR, weil da wiederholt gejammert wird, was es alles nicht gab und was man alles nicht durfte. Voll das BZ-Gebimmel. Flotter lesen sich über weite Strecken die Erinnerungen vom Neubauten-Bass-Mann Alex Hacke, der anfangs auch als Borsig unterwegs war. Besonders die frühe Jugend, wie er als Neuköllner Schulschwänzer an seine späteren Verbündeten geriet. Zu den Neubauten gibt es aber nicht so viel. Empfohlen sei dazu „Nur was nicht ist, ist möglich“. Aber Hacke weiß in „Krach“ über viele andere Bands und Projekte zu berichten. Voll der Freigeist.

2. KW, 8. bis 14.1. Bov Bjerg, „Auerhaus“, 2017. Leiser Humor aus dem Südwesten. Einige Jugendliche sind auf der Sinnsuche. Etwas WG-Tamtam, kein wirklicher Krawall. Selbstmordfantasierer Frieder ist meistens gut drauf. Mag ich, ist flott zu lesen. Bin aber nicht dahinter gekommen, warum diese Literatur x-mal höher eingeordnet wird als ähnliche Veröffentlichungen. „Unser Haus in der Mitte der Straße“ ist Pflichtlektüre in der Schule. Habe hier ein Grabbelexemplar, 15. Auflage, 2023. Voll der Wahnsinn. Die Ende ´23 veröffentlichte „Auerhaus“-Graphic-Novel-Ausgabe von Janne Marie Dauer gefällt mir auch, ist sie doch durchgehend farbig und locker in der Anordnung der einzelnen Bilder. Voll der Buntstiftcharme!