Sozialer Schmus

16. September 2024

Schon heute wissen, was morgen in der Zeitung steht. Meine Unterklassen-Kolumne in der jungen Welt:

„Ich will immer so viel erleben, und werde doch immer nur breit“, heißt es bei Sportsfreund Sven in einem Song. Davon kann so mancher Fan ein Lied singen. Drei Konzerte, zuzüglich der Kneipe danach, und zwei Fußballspiele innerhalb einer Woche, da fragt so mancher wieder nach Kaffee und Kuchen. All die Ligen und Vereine, die sich zumeist unter dem Radar abspielen, sind auch anstrengend. Zu erleben gibt es traurige Abstiege und lustige Stagnation. Voll der Stress: Warum wurde der Anstoß verlegt und was soll der Quatsch mit den alkoholfreien Getränken? Tausend Spiele werden es gewesen sein. Immer pünktlich auf der Tribüne, ein Stündchen vor dem Anstoß, zu dem die Kumpels auf dem letzten Drücker erscheinen. Skeptischer Blick ins weite Rund: Hm, das wird heute nichts. Weder mit einem Tor Vorsprung noch mit  der ordentlichen Zuschauerzahl. Bisher stehen nur einige Fremdkörper herum, mit denen man das Transparent nicht an den Zaun knüpfen möchte, welches kaum von den Zuschauern gegenüber wahrgenommen wird, oder von den umher flitzenden Spielern, und von irgendeiner Fernsehkamera schon gar nicht. Doch Tradition ist Tradition. Sozialer Schmus. 20 Minuten vor dem Anstoß wird der erste Bekannte gesichtet und sofort zwangsverpflichtet, die Propaganda an den Zaun mit anzubringen, worauf weitere Kumpels wie auf Signal den Block erstürmen. Sie begrüßen sich übertrieben, so als hätten sie sich lange nicht gesehen. „Ey, bist älter geworden – zwei Wochen!“ Die Mannschaften laufen aufs Feld, es gibt keine herzliche Begrüßung seitens der Zuschauer. Und bloß keinen Vorschuss an stimmungsvoller Unterstützung. Das Spiel, es läuft nicht gut. Auf der Tribüne murrt ein Dutzend Waldorf-und-Statler-Imitatoren vor sich hin. Bier-holen ist angesagt. So viel wie man tragen kann, also mindestens drei Becher. Wer mit einem Ego-Bier zurückkommt, oder sich ohnehin nur durchschnorrt, kann gerne demnächst bei der nervenden Jugend stehen. Das Spiel, ach, all die Spiele. Warum hat das Schicksal uns nicht als Jazz-spielende Global Player vorgesehen? Erstmal was trinken. Immer noch 0:0. Aber auch kein Gegentor für unsere Tapferen. Wer zu gut spielt, spielt ohnehin nicht mehr lange bei uns. Welch blöde Gesetzmäßigkeit. Und wer aus einer höheren Liga einen halbwegs großen Namen mitbrachte, trainiert auf seine letzten Jahre in unserer 0:0-Liga noch ein bisschen ab. Immerhin steigt die Stimmung in unserer Stammtischarena. Es wird viel gelacht, auch ohne Torvorsprung. Doch ein Kumpel muss ermahnt werden: „Ey, du hast nur ein Bier für dich mitgebracht! Das machst du gleich wieder gut, ja? Nimm den Jugendlichen mal die Trommel und das Megafon weg – dann ist es wieder schön hier!“

Immer diese Untertöne

19. August 2024

Am 21. Dezember soll es im Rahmen des Kantinenlesens ein Wiedersehen mit der Chaussee der Enthusiasten geben, der Bühne, die sich ungefähr 2016 auflöste. Ich habe bei der Wiedersehen-Show zwei- oder dreimal mitgemacht, sie war immer super besucht und überwiegend flott; aber für die Zukunft habe ich signalisiert, dass ich mit meinen Ex-Poeten lieber in die Kneipe oder auf ein Konzert gehe. Bohni meinte, Robert und er würden am 28. November ins SO 36 zu den Undertones rocken. Na bitte, da komme ich gerne mit. Hier ist meine Kolumne für die morgige junge Welt:

Das große Aussieben

Der Berliner Landespokalwettbewerb startete Mitte August. Ein Teil der 180 Mannschaften absolvierte 52 Qualifikationsspiele; für die 1. Runde, welche in der letzten Woche mit immerhin 64 Spielen stattfand. Noch trafen keine Vereine mit großen Namen vor einer vierstelligen Zuschaueranzahl aufeinander. Irgendwelche Fans mit Megafonen oder Trommeln wurden nicht gesichtet. Fußball pur. Am Mittwoch gewann der Vorjahresgewinner Viktoria 89 beim Friedrichshagener SV mit 6:0, denn schon am Sonntag musste man wieder ran. In der 1. Runde gab es viele Kantersiege, darunter sieben Zweistellige. Den höchsten Sieg verzeichnete der siebenmalige Landespokalgewinner und Regionalligist BFC Dynamo mit 22:0 gegen den Kreisligisten FC Karame 78. Den Moabitern war diese Begegnung als Heimspiel zugelost worden, doch aus organisatorischen Gründen gaben sie das Heimrecht ab. Im Hohenschönhausener Sportforum hielten einige der 300 Zuschauer den jeweils aktuellen Spielstand per Foto fest, doch kurz vor dem Endresultat soll der Mann mit den Zifferntafeln die Arbeit eingestellt haben. Gelobt wurde von den BFC-Fans mehrfach das Auftreten der Spieler vom FC Karame, welche das Desaster sportlich und fair nahmen. Eine Begegnung auf Augenhöhe gab es zwischen Lichtenberg 47 und Hertha 03 Zehlendorf. Diese Vereine waren vor wenigen Wochen noch Rivalen im Kampf um den Aufstieg von der 5. in die 4. Liga. Zehlendorf hatte letzten Endes die Nase vorne und stieg in die Regionalliga Nordost auf. Nun gewann Lichtenberg das Duell vor 700 Zuschauern mit 1:0 und kegelte somit den ersten Berliner Regionalligisten raus. Ein weiterer Viertklässler, die VSG Altglienicke, gewann bei Wacker Lankwitz mit 12:0. In diesem Wundertütenwettbewerb scheint bei vielen Vereinen aus den Kreis- oder Bezirksligen für das Weiterkommen oder Scheitern wichtig zu sein, wie viele Spieler noch an der Ostsee oder dem Mittelmeer alle fünfe gerade sein lassen. Der Landespokalgewinner der letzten Saison, der FC Viktoria 89, hatte sich jedenfalls für die 1. Runde um den DFB-Pokal qualifiziert, in der er am Sonntag auf den Erstligisten FC Augsburg traf. Vor 5.500 Zuschauern ging Viktoria in der 4. Spielminute überraschend in Führung, unterlag aber deutlich mit 1:4. Dieses Spiel sollte das letzte im altehrwürdigen großen Stadion im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark sein. Das Stadion in Prenzlauer Berg müsse abgerissen werden, ein Neues wäre fällig. Das wurde schon x-mal beschlossen und wieder verworfen. Plötzlich heißt es, nun aber wirklich! Dabei haben die Entscheidungsträger das Geld für den Abriss und den Neubau schon längst versoffen.

Zugabe.

Rot Weisse Grüße aus Lohburg

17. August 2024

Sendet mir mein Webside-Coach Kaiser, indem er hier ungefragt ein Foto reinstellt. „Deine Seite wurde gehakt!“, sagt er am Telefon. Nun gut. Immerhin was Neues. Wobei ich aber auch schon verraten kann, dass ich etwas an der Kolumne für den kommenden Dienstag herumwerkele, in der es um das 64er-Finale vom Berliner Landespokal gehen soll. Der BFC Dynamo gewann soeben sein Spiel gegen FC Karame 78 sage und schreibe 22:0! Ich hatte darauf keinen Bock. Mal sehen, ob ich morgen zu Berolina Mitte gegen Tennis Borussia gehe. 16 Uhr, Nähe Torstraße.

OKB heißt jetzt Alex

3. August 2024

Am morgigen Sonntag bin ich ab 16 Uhr bei Max van der Oos in dessen Alex-Radio-Sendung Auslesen zu Gast. So wie vor zehn Jahren, als ich ihn in der Weddinger Voltastraße besuchte, um für Knuts Opa Werbung zu machen. Morgen soll es in der Friedrichshainer Rudolfstraße eine Stunde um meinen Berlin Nordost Blues gehen. Wird sicherlich anstrengend.

Neues vom Serienmeister der Herzen

23. Juli 2024

Vor Jahren ging man zum ersten Heimspiel der jeweiligen Saison, um zu überprüfen, wer alles noch hinginge. Inzwischen ist klar, die die immer hingehen. Also kein Gezeter, sondern Dauerkarte klarmachen. Der BFC Dynamo hatte unter dem neuen Trainer Andreas Heraf einige Vorbereitungsspiele hinter sich. Beim 1.FC Magdeburg wurde 3:0 verloren, doch im heimischen Sportforum Hohenschönhausen konnten Lichtenberg 47 und Hansa Rostock II 3:0 bzw. 3:1 bezwungen werden. Am letzten Sonnabend stand der letzte Test an, gegen keinen geringeren als Unione Calcio Sampdoria, dem Verein aus Genua. Er rangiert derzeit in der 2. Liga, doch während seiner 78jährigen Vereinsgeschichte war er überwiegend der ersten Liga zugehörig. Einmal italienischer Meister, einmal Europapokalsieger unter den Landespokalgewinnern, das war 1991 bzw. 1990 gewesen. Die Rückkehr ins Oberhaus hat man fest im Visier, mit Andrea Pirlo als Trainer, dem Weltmeister von 2006. Sein Name prangte auf den Ankündigungsplakaten, die in Berlin nicht zu knapp geklebt worden waren; mitsamt den beiden Vereinslogos, wobei auf dem der Gäste die Silhouette eines rauchenden Seemanns abgebildet ist. Schwer zu sagen, ob der BFC gegen den namhaften Gast dem Aufwärtstrend etwas Nachdruck verleihen könnte. Bei Temperaturen von über 30 Grad am späten Nachmittag zog es so manchen Interessenten mit Familie oder Freunden an ein Gewässer. Die anwesenden 2.000 Zuschauer zählten demzufolge wohl eher zu den Eisbadern im Winter. Es gab sogar einen ordentlichen Gästeblock mit etwa 200 Leuten. Der Bus mit der Mannschaft aus Genua rollte aus dem Thüringen Quartier später als geplant in Hohenschönhausen an und so richtig in Schwung kamen Sampdorias Spieler selten. Ein Klassenunterschied war in Berlin nicht zu erkennen. In der 13. Spielminute schob Rufat Dadashov für den BFC zum Tor des Tages ein, just in dem Moment, als mir Nick ein Bier reichte. Ich hatte den Treffer nicht gesehen und noch keinen Schluck genommen; es war trotzdem super. In der 78. Spielminute konnte Julian Wießmeier vom Elfmeterpunkt die Chance zum 2:0 nicht nutzen. Doch der BFC verbreitete Optimismus im Hinblick auf die neue Saison, in der man ganz oben mitspielen will. Trainer Andreas Heraf scheint keiner zu sein, der ewig in der viertklassigen Regionalliga Nordost zu bleiben gewillt ist. Er kam aus der Bundesliga Österreichs, vom dortigen Absteiger Austria Lustenau, und er hätte diesen Verein wohl retten können, wäre er etwas eher engagiert worden. Ehrenvoll verabschiedet, so nennt man das wohl. Nach Hohenschönhausen fand er dank BFC-Sportdirektor Angelo Vier, mit dem er einst bei Rapid Wien zusammengespielt hatte. Heraf ist ein geradliniger Typ, der ein ebensolches Auftreten seiner Spieler auf dem Rasen erwartet und mit seiner Arbeit gut vorankommt. Am kommenden Freitag beginnt die neue Saison, unter anderem mit dem Knaller BFC gegen Jena, ab 19 Uhr im Sportforum.

Zwischen den Schichten

17. Juli 2024

Für die Unterklassen-Abteilung der jungen Welt werde ich nur noch einmal im Monat eine Kolumne abgeben, denn noch weniger Geld ist für mich allemal genug. Einigermaßen neu als Berichterstatter ist Marco Bertram. Gut so. Heute gehe ich auf zwei Bier in die Kneipe, morgen Abend sitze ich eine Stunde beim Zahnarzt auf dem heißen Stuhl und am Freitag bin ich beim Tresenlesen in der Bornholmer Straße mit zwei Roman-Ausschnitten am Start. Ich gehe jetzt mal davon aus, dass ich nach den morgigen Steinbrucharbeiten im Unterkiefer dazu im Stande sein werde. Am Sonnabend trifft der BFC Dynamo auf Sampdoria Genua, in einem internationalen Freundschaftsspiel, bei dem man sich hoffentlich weniger gegen die Knochen tritt als beim gestrigen Vorbereitsspiel zwischen Energie Cottbus und Hertha BSC. Am Sonntag fabriziere ich eine Kolumne für die junge Welt-Ausgabe des kommenden Dienstags, in der es eventuell darum geht, warum ich mir eine Dauerkarte für den BFC gekauft habe, oder warum nicht.

Auf Wiedersehen, Mallorca!

2. Juli 2024

Als ich noch jünger war, letzten Freitag zum Beispiel, bei meiner ausführlichen Lesung mit Jan von Im Ichs musikalischer Unterstützung im Hoolywood, da war die Hütte voll, es brannte die Luft, und alle Bücher, die ich angeschleppt hatte, konnte ich auch verticken. Vielen Dank an alle, die da waren, auch wenn sie anschließend nicht mit uns in den Husemann Pub gekommen sind. Und am Sonnabend dann die Lange Buchnacht auf der Oranienstraße. Mal wieder im Goldenen Hahn, zur besten Lesezeit, während der Tagesschau. Die Luft im Laden war eigentlich nicht vorhanden und einige Gäste hingen schon seit zwei Stunden entsprechend dort ab. Ein nicht ganz unberühmter Speiche soll an der Tür gefragt haben, ob es sich hier um das FDJ-Treffen handele. Nun ja. Ich war vom Vorabend noch voll euphorisiert, machte da so mein Ding, fand es allerdings viel zu ruhig, habe die Meute nicht geknackt, keinen Buchverkauf offeriert. Es soll aber gut gewesen sein. Vielen Dank an alle, auch wenn sie anschließend nicht mit uns vor dem Spätverkauf das Deutschland-Spiel gesehen haben und danach auch nicht mit uns noch mal in den Hahn zurück schlenderten, und dann in den Trinkteufel, und dann in den Elefanten – alter Schalter, muss ick ma jung jewesen sein! Hier ist meine heutige Kolumne:

Welch sagenhaftes Pauschaltouristenparadies diese balearischen Inseln doch sind, mitsamt ihren über 200 Fußballvereinen, von denen allein in Palma 60 existieren. Unter anderem der Real Club Depotivo Mallorca, der in der abgelaufenen Saison den 15. Platz in der La Liga belegte. Meistens spielte Real während seiner über hundertjährigen Geschichte eine Etage tiefer, um für kurze Zeit ins Oberhaus zurückzukehren, wo man zwischen 1997 und 2013 erstaunlich lange rangierte. Der bekannteste Lokalrivale dürfte Atletico Baleares sein, der derzeit in der 3. Liga spielt, in der Primera Federación. Es empfiehlt sich ohnehin, im Ausland sportliche Veranstaltungen zu besuchen, fernab der Touristenpfade, wo die Einheimischen nicht permanent ihren Geschäften nachgehen müssen. Mitunter kann man sich nur wenige Minuten vom Strandboulevard entfernt an einem Kunstrasenplatz wiederfinden, wo einige hundert Zuschauer dem Geschehen beiwohnen und sich über Besucher freuen, die etwas Interesse an ihren mitbringen. 18 Balearen-Vereine aus Mallorca, Ibiza und Menorca treffen in der viertklassigen Tercera División aufeinander, in der elften der 18 Unterklassengruppen. Im Netz findet man die anstehenden Termine auf flascore.de. Die Sonne lacht über all die Plätze ohne Laufbahnen. Oft gibt es nur eine große Haupttribüne. Man hat die beste Sicht auf die umliegende Berglandschaft. Hier ist der Tourist nicht nur nah dran, sondern auch mittenmang und muss nicht unbedingt im I-love-Malle-Nicki einen auf Peacer machen. Es gibt ohnehin so schöne ein- beziehungsweise mehrfarbige Sechserpacks mit Nickis, die man für den Preis von einer blöd-bedruckten Obertrikotage bekommt, und man kann die Einfarbigen überall anziehen. In den Stadien und an den Plätzen ist man auch relativ sicher vor den alten und neuen Insel-Schlagern wie „Hafen der hunderttausend Lichter“, „Auf Wiedersehen, Mallorca!“, „Bunte Stadt am Meer“ oder „Mallorca, kleine Insel im Sonnenschein“. Zumindest vor den deutschsprachigen Versionen. Ansonsten hört man dort viele Produkte vom gefürchteten Euro-Pop, aber auch flotte Vereinshymnen, die sich schnell ausfindig machen lassen, wenn man bei youtube die klangvollen Vereinsnamen eingibt. In einem Buchladen habe ich ein Fanzine ergattert, dem eine CD der Punkband Pedrada en la Kara beilag. Die drei Herren orientierten sich am Stil der Thüringer Schleim-Keim, wofür nicht zuletzt die Coverversion von „Nein, nein, nein“ zeugte. Ach, wir haben uns schon alle gerne, und Malle fetzt.