Bin ich unmodern?

30. März 2019

Neulich habe ich gegenüber Christoph Meueler, dem neuen Kulturabteilungsleiter vom Neuen Deutschland, – ehemals Junge Welt, Ablösesumme 200 Millionen -, auf diese Verkaufsberater geschimpft. Das fand er lustig und bat mich, darüber einen Text zu schreiben. Nun bin ich in der aktuellen Sonntag-Morgen-Rubrik mit etwa 3.000 Zeichen, die ich am Mittwoch/Donnerstag vor der Arbeit geschrieben habe, zwischen 6 und 7, wo es schon hell war. Tageslicht ist Poetenbeleuchtung. Doch morgen wird die Uhr wieder zurück gestellt, ich glaube auf 1977. Hier ist meine Kolumne:

„Die Musik aus der Küche, ist auch schon ziemlich zerkratzt“, so tönt es im Wohnzimmer, also aus dem Kassettenrekorder. Fehlfarben mit „Grauschleier“. Habe ich vor vielen Jahrzehnten aufgenommen, funktioniert immer noch, muss ich nicht wegschmeißen, mein verdienstvolles Kassettenteil samt Zubehör. Sonst stelle ich mir noch alle fünf Jahre den neuen Tonträgerquatsch hin. Am Beginn vom „Grauschleier“ quatscht eine Moderatorin rauf, wie als Zeugnis des Schreckens aller Mitschnittfreunde. „Es ist 18 Uhr 22“, behauptet sie. Dabei ist es 10 Uhr 12. Macht mir heutzutage nichts aus. Die Kassette klingt nicht zerkratzt, aber ein wenig dumpf. Wenn sich der Rekorder endgültig verabschiedet haben wird, muss ich notgedrungen in den Maxi-Markt gehen. Ich werde ziemlich klare Vorstellungen von einem Neukauf haben, die mir der Berater auszutreiben gewillt sein wird. Einen Karohemdträger wie mich hält er nämlich für einen Kumpel seiner Kaste, mit dem er gleich Klartext reden muss. Wie ich da so zwischen den Regalen entlang schleiche, Marke ratloses Opfer, noch nicht ausgeweidet. Kenne ich aus alten Tagen: Ich gestehe, mir akustische Verstärkung für meinen Fernseher zu wünschen. Das Flachbildding habe nur so einen Blechbüchsenton, und da seien leider keine Knöpfe für Höhen und Tiefen dran. „Diese kleinen Boxen für 25 Euro da.“ „Nein“, sagt er schroff. „Die sind scheiße.“ Ich bräuchte ein Sound System für 200 Mücken. Reine Lüge, sogar meine Nachbarn fühlen sich dank der Miniboxen ausreichend unterhalten. Der Maxi-Markt-Mensch möchte auch nicht, dass ich mich mit dem billigsten DVD-Abspielgerät auf und davon mache. Kaum dass ich auf der Verpackung die Anschlussmöglichkeiten erforsche, textet er mich ungefragt zu, dass ich mir doch lieber einen Blu-Ray-Player zulegen solle. „Sonst kommen Sie nächste Woche zum Umtauschen an. Muss doch nicht sein.“ Klasse, wie der mich kennt, und was der sich so traut. Als ich mich für einen Drucker für 60 Euro interessiere, erklärt er mir die daneben stehenden Teile für über 100. Ich verfolge gut gelaunt seine Performance, er wird lauter. „Warum erkläre ich den Leuten alles, wenn die sich gar nicht interessieren?“ – „Das ist schon ein guter Anfang, wenn Sie sich das selber fragen.“ Er fuchtelt wild umher. Hoffentlich bekomme ich nicht gleich eine geknallt. „Kann ich auch nach Hause gehen.“, sagt er. „Meinetwegen. Ich nehme mir den 60-Euro-Drucker und …“ – „Das hält ja keiner aus!“ Mein Gott, wenn mein Doppelkassettendeck den Restgeist aufgibt, oder ich sogar. Rekorder werden wohl nicht mehr hergestellt, die Geburtenrate sinkt auch. Komme ich mit klar, bin ja halbwegs modern. Habe sogar einige Kassetten entsorgt, auf denen Musik war, die ich auch auf CD oder Schallplatte habe, oder auf youtube. Die Kassette rumpelt vor sich hin. „Es liegt ein Grauschleier über der Stadt, den meine Mutter noch nicht weggewaschen hat.“ Gleich verrät mir die Moderatorin, dass ich DT 64 höre.