Jenseits vom Weinrot

14. Oktober 2024

Ich habe 20 Exemplare meines Blues-Nickis produzieren lassen und für den Herstellungspreis von irren 19 Euro pro Exemplar unter die Leute gebracht. Das soll es mit dieser Blitzaktion gewesen sein. Zurück zum Kolumnenklimpergeschäft. Mein Text für die morgige Unterklasse:

Früher war alles dynamischer. Beim Wörtchen Unterklasse denke ich momentan nicht unbedingt an eine niedere Liga, sondern eher an die Unfähigkeit der Entscheidungsträger, ein Stadion wie das im Berliner Jahn-Sportpark zu erhalten. In den frühen 1950ern der DDR wurde es binnen kurzer Zeit für 30.000 Besucher errichtet. Meine ersten Erinnerungen an den Sportpark gehen auf familiäre Spaziergänge zurück. Am Eingang der Cantianstraße stand ein Pförtnerhäuschen, wo Mutti fragte, ob wir auf das Gelände dürfen. Der Kriegsinvalide winkte uns freundlich durch. Das Gelände nahe der Grenze war nicht prinzipiell abgesperrt, aber ständigen Durchgangsverkehr zur Eberswalderstraße wollte man wohl auch nicht. Wenn wir ohne einen Elternteil anrückten und über den Zaun an der Gaudystraße stiegen, um auf dem Empor-Platz Fußball zu spielen, kam der Pförtner herbeigeeilt und drohte damit, uns mit einer Flinte auf seine Gesundheitsebene zu ballern. Das erste Mal im großen Stadion war ich mit der Schulklasse, als die Friedensfahrer in diesem herrlich-schlichten Areal mit den braunen Holzbänken eine Runde drehen sollten. 1977 besuchte ich mein erstes Spiel: BFC Dynamo gegen FC Vorwärts Frankfurt/Oder. Neben einigen Jungs meiner Klasse hatten sich dort viele lustige Halbstarke aller Jahrgänge versammelt. 1982, am Jahrestag der Befreiung vom Hitler-Faschismus, fand das vorletzte Heimspiel der Saison statt. Der BFC errang seine vierte Meisterschaft und fegte den 1. FC Magdeburg mit einem sensationellen 4:0 vom Platz. Ein Großteil der Jugend flippte total aus, legte einen Teil des etwa 1,50m-hohen Zauns flach und stürmte auf das Feld. Im Fernsehen waren davon kurze Sequenzen zu sehen, nur ein Mal. Beim letzten Heimspiel setzte ein größeres Aufgebot an Ordnern einiges daran, niemanden auf den Platz zu lassen, was ihnen auch gelang. Zum Beginn der Saison 1982/83 stand eine höhere Absperrung mit einer zu den Tribünen gerichteten Zaunkrone. 1987, zum 750. Jahrestag von Berlin, als der BFC seinen Zenit am durchschnittlichen Zuschauerzuspruch von 17.500 (1979/80) längst überschritten hatte, war das Stadion aufgemotzt worden, mit der pompösen Haupttribüne und der Überdachung der Gegengerade. Bald nach der Wende absolvierte der BFC seine Spiele im ohnehin heimischen Sportforum Hohenschönhausen. Die braunen Bänke im Stadion des Jahn-Sportparks wurden durch Sitzschalen in den Farben Kurdistans ersetzt. Während der letzten drei Jahrzehnte trug dort ein halbes Dutzend Berliner Vereine über kurz oder lang seine Heimspiele aus. Meistens interessierte es nur wenige Menschen, sich auf die ewig-dreckigen Schalen zu platzieren, zumal auf der Schönhauser Allee fast nie ein Plakat zur Partie gesichtet wurde. Neulich begannen die Abrissarbeiten des Stadions. Von den unterklassigen Entscheidungsträgern wird kolportiert, eine moderne Stätte für den Inklusionssport zu errichten. Ich behaupte, es sieht dort die kommenden Jahre so ähnlich aus wie während der letzten Jahre am Sport- und Erholungszentrum, am anderen Ende vom Prenzlauer Berg.